�Abdu�l-Bahá erholte sich einige Tage in Thonon-les-Bains am Ufer des Genfer Sees, dann reis-
te Er nach London weiter, wo Er Montag, den 4. September 1911, eintraf. Er hatte die Hauptstadt
des britischen Weltreichs zum Schauplatz Seines ersten �ffentlichen Auftretens erkoren. Nach
etwa einer Woche hielt Er eine Ansprache vor der Gemeinde des City Temple. Das war in der Tat
ein historischer Tag in den �berreichen Annalen des christlichen Westens, aber leider ist sich we-
der der Westen noch die �brige Welt dieser Tatsache bislang bewu�t geworden. Niemals zuvor
hatte es sich in der heidnischen oder christlichen Geschichte ereignet, da� das anerkannte Ober-
haupt einer Weltreligion aus dem Osten -wo alle Religionen ihren Ursprung haben - gekommen
war, um vor eine westliche Gemeinde zu treten und sich mit einer �ffentlichen Ansprache an sie
zu wenden. Zwar nimmt man an, da� Petrus, dem Christus h�chste Autorit�t �bertragen hatte,
Rom besuchte und zum r�mischen Volk sprach. Aber Petrus wurde nicht als Stellvertreter Christi
jubelnd begr��t, und er konnte die B�rger der m�chtigsten Hauptstadt der Welt nicht frei und in
aller �ffentlichkeit ansprechen. Diese einzigartige Auszeichnung hatte die Vorsehung f�r �Abdu�l-
Bahá bestimmt. Als Er an jenem Sonntag, dem 10. September 1911, von der Kanzel des City
Temple in Holborn sprach, war es das erstemal, da� �Abdu�l-Bahá �berhaupt irgendwo vor einer
gr��eren Zuh�rerschaft sprach. Er hatte noch nie eine �ffentliche Ansprache oder eine Predigt
gehalten. Dies waren Seine Worte:"0 edle Freunde, die ihr Gott sucht! Preis sei Gott! Heute strahlt das Licht der
Wahrheit in seiner ganzen F�lle �ber die Welt, die Brisen des himmlischen Gartens
weben durch alle Regionen, der Ruf des K�nigreichs wird in allen L�ndern vernom-
men und der Odem des Heiligen Geistes von allen gl�ubigen Herzen erf�hlt. Der
Geist Gottes gibt ewiges Leben. In diesem wunderbaren Zeitalter ist der Osten er-
leuchtet, der Westen ist von Duft erf�llt, und �berall atmet die Seele den heiligen
Wohlgeruch. Das Meer der Einheit der Menschheit wogt vor Freude, denn die Her-
zen und Gedanken der Menschen kommen tats�chlich in Verbindung miteinander.
Das Banner des Heiligen Geistes ist erhoben. Die Menschen sehen es und die Er-
kenntnis dieses neuen Tages gibt ihnen Gewi�heit.Dies ist ein neuer Zyklus menschlicher Macht. Alle Horizonte der Welt sind er-
leuchtet, und die Welt wird wahrhaftig wie ein Garten und ein Paradies werden. Es
ist die Stunde der Einheit f�r die S�hne der Menschen, die Stunde, in der alle Ras-
sen und alle Klassen zueinanderfinden. Ihr seid von alt�berlieferten abergl�ubi-
schen Vorstellungen befreit, die die Menschen im Stande der Unwissenheit gehal-
ten und damit die Grundlagen wahrer Menschlichkeit zerst�rt haben.
Die Gabe Gottes an dieses erleuchtete Zeitalter ist die Erkenntnis der Einheit der
Menschheit und der grundlegenden Einheit der Religion. Der Krieg zwischen den
Nationen wird aufh�ren, und durch den Willen Gottes wird der Gr��te Frieden
kommen; die Welt wird als eine neue Welt gesehen werden, und alle Menschen
werden wie Br�der leben.In alten Zeiten entwickelte sich im Kampf mit wilden Tieren der Instinkt f�r das
Kriegerische. Man braucht ihn nicht l�nger; nein, man erkennt vielmehr, da� Zu-
sammenarbeit und gegenseitiges Verst�ndnis der Menschheit den gr��ten Segen
bringen. Feindscbaft ist jetzt nur noch das Produkt von Vorurteilen.
In den �Verborgenen Worten� sagt Bahau�ll�h: �Gerechtigkeit ist in Meinen Au-
gen das Kostbarste.� Gott sei gepriesen, in diesem Land wurde der Pfeiler der Ge-
rechtigkeit errichtet; gro�e Anstrengungen werden gemacht, um allen Menschen
einen angemessenen und rechten Platz zu geben. Dies ist der Wunsch aller edlen
Naturen; dies ist heute das Gebot f�r Ost und West; daher werden der Osten und
der Westen einander verstehen und sich sch�tzen, sie werden sich umarmen wie
Liebende, die sich nach langer Trennung gefunden haben.
Es gibt nur einen Gott, nur eine Menschheit; die Grundlagen der Religion sind
eins. Wir wollen Ihn anbeten und preisen f�r Seine gro�en Propheten und Sendbo-
ten, die Seine Lichtf�lle und Seinen Ruhm offenbart haben.
Der Segen des Ewigen sei mit euch in all seiner F�lle, damit jede Seele entspre-
chend ihrer F�higkeit, so viel sie kann, aus diesem Reichtum sch�pfen mag. Amen.
Mit dieser Ansprache er�ffnete �Abdu�l-Bahá eine Phase Seiner Amtszeit, die in jeder Hinsicht
unvergleichlich ist. In Seinem achtundsechzigsten Lebensjahr und bei angegriffener Gesundheit
betrat Er eine �berf�llte, alle Kr�fte fordernde Arena, um dem christlichen Westen die grundle-
genden Wahrheiten der Religion Seines Vaters zu verk�nden. Er sprach vor unz�hligen Ver-
sammlungen; Er empfing Tag f�r Tag, von morgens bis abends, einen Strom von Besuchern; Er
sa� geduldig auf Pressekonferenzen; Er sprach mit den Ber�hmten und Erfolgreichen; Er suchte
die Armen und Unterprivilegierten auf, und Seine Liebe str�mte ihnen ebenso reichlich zu wie Sei-
ne Freigebigkeit. Dabei weigerte Er sich, die Gunst der M�chtigen und Wohlhabenden zu suchen.
Als �Abdu�l-Bahá die oben zitierten Worte von der Kanzel des City Temple sprach, war die Welt
alles andere als ein Ort des Friedens. Er selbst sprach w�hrend Seiner Reise durch den Westen
immer und immer wieder die Warnung aus, Europa gleiche einem gro�en Waffenlager, und ein
Funke gen�ge, um es zu entz�nden.(aus Balyuzi: �Abdu�l-Bahá - Der Mittelpunkt des B�ndnisses Bahá'u'lláhs)
Vertiefung: Ansprache �Abdu�l-Bahas von der Kanzel des City Temple in Holborn 10. Sept. 1911
Hamburg, den 10.06.2003 Datei:D:\Winword2\BASTU\City-Temple.doc Seite: 1 von 2